Aus der Muss-Tyrannei in die Freiheit
Ich muss. Kein Wort wird so durchgängig von all meinen Klienten verwendet und nicht nur von meinen Klienten, wir alle treiben uns in unseren inneren Dialogen in extrem hohem Maße mit dem diesem Modalverb an: ich muss einkaufen, ich muss noch Klavier spielen, ich muss noch lernen. Bei alldem nehmen wir dieses Muss als selbstverständlich an, ohne uns bewusst zu machen, wie viel Druck wir einerseits auf uns ausüben und wie viel Potenzial und Energie wir uns andererseits damit rauben.
Zum Druck: Um zu verstehen, wie "ich muss" innerlich Druck aufbaut, brauchen wir nur anzuschauen, in welcher konkreten zwischenmenschlichen Situation jemand denn tatsächlich sagen kann, du musst: Eltern vielleicht bei ihrem fünfjährigen Sohn: "du musst Zähne putzen". Die Wirkung ist meist die gleiche: der Sohn mag nicht. Anders sieht es aus beim Militär: Wenn der Offizier dem Kanonier sagt, "du musst schießen, schieß!!", ist das ein klarer Befehl, den er befolgen muss. Und in Kriegszeiten würde er sonst sogar erschossen werden. D.h. es braucht immer eine mächtige Autorität, die immensen Druck auf den Untergebenen ausüben kann. Dieser Druck erzeugt aber automatisch Gegendruck, Widerstand oder Trotz, je nach Lebensalter und Lebenssituation; und nur mit genügend Druck, Drohung oder Macht wird dann dieser Druck wieder verstärkt, bis der Widerstand gebrochen ist.
Dasselbe passiert im Prinzip auch im inneren Dialog, wenn wir zu uns selbst sagen, "ich muss" oder "du musst": wie auch die Kommunikationspsychologie klar erkannt hat, gibt es damit einen Sprecher und einen Adressaten, unbewusst wird also eine innere Autorität aufgebaut, die die Macht hat, den Handelnden/ Adressaten dazu zu zwingen, das zu tun, was er angeblich tun muss. Genauso wie im zwischenmenschlichen Bereich fordert dies jedoch zunächst Widerstand heraus, aber mit genügend Nachdruck bringen wir uns dann doch dazu, meistens / eventuell / je nach Energie-Lage das zu tun, was zu tun ist. Dabei wird vielfach Energie vergeudet: der Druck der den Gegendruck ausübt und der weitere Druck, der notwendig ist, um den Gegendruck zu überwinden, kosten enorm viel mentale und auch physische Kraft und macht das Leben und alle Aufgaben schwer.
Was sage ich nun statt "ich muss in die Arbeit gehen / einkaufen / zum Friseur", denn "ich will"," ich möchte"," ich darf" liefern nur Gelegenheit mit," ich mag nicht, ist es wirklich nötig, im Moment keine Lust" die Aufgaben aufzuschieben. Diese Modalverben sind also viel zu schwach und üben im Endeffekt zwar keinen Druck aus, liefern aber zu wenig Antrieb, sprich Motivation.
Deswegen ist es wichtig zu überlegen, was uns eigentlich sinnvoll und stark motiviert, und das ist stets, da unser Unbewusstes zielorientiert ausgerichtet ist, nur die Motivation durch das, was wir mit unserem Handeln erreichen können für uns selbst. Dies führt zu der Frage, was erreiche ich für mich, wenn ich in die Arbeit erledigt habe?! Bzw. fordert mich auf, den Satz zu ergänzen, "ich gehe in die Arbeit, damit ich … erreiche." (1)Hier ist immer wieder zu ergänzen, was jeder für sich damit persönlich erreichen will: natürlich meist in erster Linie, um Geld zu verdienen. Das ist sinnvoll und ehrlich, zu sagen: ich gehe in die Arbeit, damit ich Geld verdiene und mir meinen Wohlstand ermögliche. Wohlstand ist dann aber der zweite Wert, den ich für mich erreiche, dadurch dass ich in die Arbeit gehe. Ein anderer kann ergänzen," ich gehe in die Arbeit, um Kollegen zu treffen, um unter Menschen zu sein." Ein anderer, "ich gehe in die Arbeit, damit ich Anerkennung bekomme / mit mir zufrieden bin." Und jeder, der diesen Satz für sich ergänzt und dann vergleicht, wie die innere Reaktion ist, ob ich sage, "ich muss arbeiten gehen" oder "ich gehe in die Arbeit, damit ich Menschen treffe/ damit ich Anerkennung bekomme/ damit ich stolz auf mich sein kann oder zufrieden sein kann, wird für sich wahrnehmen, was mehr Energie, Antrieb für sich entstehen lässt.
Das Bewusstsein dieser Werte und Motive ist eben das, was wir uns rauben, wenn wir einfach sagen, ich muss in die Arbeit gehen. Dann wirkt bei den meisten nur der Zwang, nicht aber das Motiv, das Ziel oder der Wert, den ich damit für mich jeden Tag realisieren kann.
Der nächste Punkt ist, dass kein Mensch bei uns eigentlich tatsächlich in die Arbeit gehen muss. Jeder kann theoretisch zu Hause bleiben und überlebt irgendwie. Das wollen die meisten aber nicht, eben weil Wohlstand, Ansehen oder Zufriedenheit wichtiger sind als bequem zu Hause zu bleiben. Somit heißt das wiederum, es liegt in der Entscheidung eines jeden, ob er in die Arbeit geht oder nicht. Genauso wie es auch letztlich in der Entscheidung des Soldaten liegt, ob er schießt oder nicht (2). Und dies ist die Freiheit, die wir Menschen haben, im Gegensatz zu Tieren, so intelligent diese auch sein mögen. Wir haben die Freiheit uns dafür zu entscheiden, was wir tun und was nicht. Denn nur wir haben das Bewusstsein für die Entscheidung ( Dies ist übrigens der Apfel, wegen dem Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden sind). Deshalb ist es äußerst sinnvoll, genau auch diese Einleitung immer wieder klar zu formulieren: "Ich entscheide mich, dass ich in die Arbeit gehe, damit ich Geld verdienen/ Kollegen treffe / Anerkennung bekomme / mit mir zufrieden oder stolz bin."
Dies konsequent zu testen, das gewohnte "ich muss" zu ersetzen durch "ich entscheide mich,… zu tun, damit ich… erreiche.", ist stets ein entscheidender Schritt in der Entwicklung meiner Klienten. Und dazu lade ich alle ein, die diesen Artikel gelesen haben, und bitte außerdem darum, mir dazu Feedback zu geben auf der Gästebuchseite dieser Homepage oder per email.
Autor: Georg Holzapfel, NLP-Therapeut, DVNLPt
1) vgl. Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation
2) vgl Viktor Frankl, Logotherapie, Wer ein Warum zum Leben hat, Lebenssinn und Resilienz
Sehr aufschlussreich für alle, die es immer den anderen recht machen wollen und sich selbst dabei zurücksetzen.